Auf der Pirsch nach seltenen Ackerwildkräutern
Samen von Ackerkohl, Sommer-Adonisröschen, Dreikörnigem Labkraut und Gezähntem Rapünzchen auf Harzäckern für die Vermehrung eingesammelt
Sie sind meist recht klein, oft unscheinbar und dann auch noch konkurrenzschwach. Aber wenn man sich mal bückt und genau hinschaut, findet man hübsche Blüten, Blätter oder Samen. Antje Lorenz geht meistens mit gesenktem Kopf, um die Pflanzen zu ihren Füßen betrachten zu können. Die Diplomingenieurin für Landespflege hat sich bereits seit 23 Jahren dem Naturschutz verschrieben; seit einigen Jahren nun arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Ackerwildkräutern. Diese sind schlicht im Wuchs, aber sehr wichtig als Nahrungsgrundlage für Insekten. Es sind auf alle Fälle keine Unkräuter. Sie gedeihen nur auf landwirtschaftlich genutzten Flächen, die regelmäßig umgebrochen werden und benötigen viel Licht; extensive Landwirtschaft mit verzögertem Umbruch der Felder ist ihnen zuträglich. Chemischen Pflanzenschutz und übermäßige Düngung vertragen sie nicht.
Von ungefähr 280 Ackerwildkräutern in Sachsen-Anhalt sind etwa die Hälfte als gefährdet eingestuft oder stehen auf der Vorwarnliste, erläutert Expertin Antje Lorenz. Sie beschäftigt sich seit 2020 innerhalb des dreieinhalbjährigen „Modellprojektes zur Verbesserung der Situation von Ackerwildkräutern in Sachsen-Anhalt“ mit diesen Pflanzen. Das Projekt wurde bis September 2022 über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) aus Mitteln der EU und des Landes Sachsen-Anhalt gefördert. Projektpartner waren neben dem Botanischen Verein auch die Hochschule Anhalt in Bernburg, die Georg-August-Universität Göttingen, der Bauernverband Sachsen-Anhalt und das Landesamt für Umweltschutz. Seitdem haben Frau Lorenz und ihre Kollegen ein Flächenkataster von 230 Flächen mit Vorkommen seltener Ackerwildkräuter im Land Sachsen-Anhalt aufgestellt. Kollege Dr. Heino John leistet hier schon seit Jahrzehnten Pionierarbeit. Aufbauend auf seinem Wissen und mit Hilfe von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Naturschützern, dem Botanischen Verein Sachsen-Anhalt e.V. sowie Landwirten konnten wertvolle Potentialflächen, manchmal nur noch sehr schmale Streifen an den Ackerrändern mit besonderen Arten, erfasst werden.
Fortgeführt wird der Ackerwildkrautschutz nun seit Oktober 2022 im Rahmen des Folgeprojekts „Erhaltung und Wiederherstellung der gefährdeten Segetalflora Sachsen-Anhalts“, das ebenfalls mit ELER-Mitteln der EU und des Landes Sachsen-Anhalt finanziert wird. Antje Lorenz und ihre Kolleginnen und Kollegen führen das Flächenkataster fort und sind für Hinweise zu Ackerflächen mit wertgebenden Arten dankbar. Aber es wird nicht nur kartiert, sondern es werden auch gefundene Vorkommen in Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben erhalten und gefördert. Landwirtschaftsbetriebe bewirtschaften die Ackerflächen im Rahmen von Produktionsintegrierter Kompensation (PIK) und künftig auch im Rahmen des kooperativen Naturschutzes in der Landwirtschaft schonend. Dabei ist die Stiftung Kulturlandschaft Partner und Berater der Landwirtschaftsbetriebe.
Antje Lorenz fügt hinzu: „Wir suchen weiterhin Landwirtinnen und Landwirte, die geeignete Ackerflächen extensiv bewirtschaften und gegebenenfalls auch für die Wiederansiedlung seltener Arten zur Verfügung stellen.“ Dabei widmen sich die Mitarbeiter der Stiftung besonders den vom Aussterben bedrohten oder stark gefährdeten Ackerwildkrautarten. Bereits in den vergangenen Jahren hat Matthias Stolle von „SaaleSaaten“ die Vermehrung von Ackerwildkrautsamen übernommen. Ein anderer wichtiger Partner ist der Botanische Garten der Universität Halle, der bei der Vermehrung sehr seltener Arten wertvolle Hilfe leistet.
Darum war dieser Tage Antje Lorenz bei Timmenrode unterwegs und sammelte am Rande eines großen Rapsschlages unter anderem Samen des vom Aussterben bedrohten Ackerkohls. Hier am Feldrand auf einem mageren Kalkscherbenboden gedeihen aber auch noch andere seltene Arten. Und jetzt nach der Blühte sind die Samen erntereif. Bewaffnet mit Tüchern, Papiertüten, Kartons und Strohhut geht sie den etwa 800 Meter langen, zwei Meter breiten Streifen in der prallen Sonne ab. Stunden verbringt die in die Arbeit vertiefte Frau in der Hocke oder auf Knien, um die wertvolle Saat an ihren verkrauteten Stengeln, oft mit Wurzel, zu bergen. „So können einige der Samen noch ein wenig nachreifen“, erklärt Antje Lorenz. Diese sollen im Botanischen Garten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ausgesät und vermehrt werden.
In einer kleinen Pause erzählt sie, warum Ackerwildkräuter es so schwer haben, warum viele stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht sind: „Die Populationen sind in den letzten Jahrzehnten sehr stark eingebrochen, denn die intensive Landwirtschaft vertragen sie einfach nicht. Gute Böden sind eben Produktionsflächen. Auch bei langjährigen Brachen verlieren wir die Arten. Unter diesen Bedingungen gewinnen die konkurrenzstärkeren, ausdauernden Arten. Extensive genutzte, wärmegetönte Lichtäcker wären gut.“ Für Antje Lorenz und ihre Kollegen von der Stiftung ist die Beratung der Landwirte wichtig. Nur gemeinsam könne man über die verschiedenen Biodiversitätsmaßnahmen entscheiden: Auf den hochproduktiven Schwarzerdeböden wäre ein Blühstreifen gut für Insekten, denn hier ist das Potenzial für Ackerwildkräuter geringer. Auf flachgründigen, wärmegetönten Äckern, an Kuppen oder auf Grenzertragsstandorten ist dagegen die Förderung von Ackerwildkräutern durch extensive Bewirtschaftung der Felder zielführend. Die Maßnahmen sollten möglichst langfristig angelegt sein und der Landwirt oder die Landwirtin können damit ja auch Geld verdienen.
Weitere Informationen zur Stiftung Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt und ihren Projekten auf www.stiftung-kulturlandschaft-sachen-anhalt.de
Geschäftsführer: Dr.Jens Birger
An der Alten Tonkuhle 1
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Tel. 039209 / 202076